Das Leben des 74-jährigen Stansers Hermann Spring steht im Zeichen der Fliegerei – seit 1966 sitzt er im Cockpit verschiedenster Kleinflugzeuge. Vor 25 Jahren überlebte er eine Bruchlandung auf einer Alp im Entlebuch, heute gibt er sein Wissen an junge Menschen weiter. Wir haben Spring und seinen Flugschüler auf einem Alpenflug begleitet.
9. Mai 1997. Der damals 49-jährige Fluglehrer Hermann Spring und sein Flugschüler starten um 13.40 Uhr auf dem Flugplatz Kägiswil mit einem Doppelstockflugzeug zu einem Akrobatik-Schulungsflug. Nur gut 20 Minuten und einige Loopings und Rollen später passiert es: Die Maschine muss mitten auf der Alp Risch in der Gemeinde Entlebuch notlanden. Kopfüber und stark beschädigt liegt das Flugzeug auf einer Wiese, nahe der Glaubenbergstrasse. Grosses Glück: Die beiden Piloten überleben leicht verletzt.
25 Jahre später. Noch ist es ruhig auf dem Flugplatz Sarnen-Kägiswil. Die Uhr zeigt kurz nach sieben, als Hermann Spring mit seinem Schüler den Flieger, eine französische Robin DR 400, betankt. Das einmotorige Kleinflugzeug ist während des Tankens mit einem Kabel geerdet – mehr als 80 Liter stehen schon auf der Tankanzeige.
Fluglehrer Hermann Spring betankt mit seinem Schüler Claudio Häfliger das Flugzeug.
Bild: Pascal Linder
Ein letzter Alpenflug vor der Prüfung
An jenem Julitag herrscht bestes Flugwetter, die Sonnenstrahlen reflektieren auf der blau-weissen Flugzeugoberfläche, während die letzten Vorbereitungen für die bevorstehende Flugstunde laufen. Spring trägt dunkelblaue Jeans und ein hellblaues Poloshirt. «Hast du alle 149 Zähne vom Starter-Zahnrad gezählt?», witzelt er mit seinem Schüler. Der Fluglehrer aus Stans-Oberdorf ist schon lange im Geschäft – seit 41 Jahren ist er Fluglehrer bei der Motorfluggruppe Pilatus, der hauseigenen Fluggruppe für Mitarbeitende der Pilatus Flugzeugwerke.
Auch sein heutiger Flugschüler, Claudio Häfliger, ist beim Stanser Flugzeugbauer angestellt – als Entwicklungsingenieur. Für den 23-Jährigen ist es die letzte Flugstunde seiner Ausbildung, in weniger als 24 Stunden wird er seine Privatpilotenprüfung ablegen. Wer zu der praktischen Prüfung zugelassen werden will, muss mindestens 45 Flugstunden absolvieren, davon zwei Alpenflüge. Nur noch wenige Minuten bis zum Start seines zweiten Alpenfluges.
Der 23-jährige Claudio Häfliger. Bild: Pascal Linder
Flugplatz Kägiswil
Der Flugplatz Kägiswil, der zur Gemeinde Sarnen gehört, wurde früher von der Armee genutzt – heute verkehren hier hauptsächlich noch Kleinflugzeuge der Fluggruppe Sarnen-Kägiswil und der Motorfluggruppe Pilatus. Auch die Segelfluggruppe Obwalden und die Fallschirmgruppe Titlis sind hier heimisch. Betrieben wird der Flugplatz von der Flugplatzgenossenschaft Obwalden.
Hermann Spring macht mit seinem Flugschüler Claudio Häfliger die Maschine startklar.
Bild: Pascal Linder
Spring sitzt mit seinem Schüler im kleinen Cockpit und bespricht die heutige Route: «Wir fliegen über den Nufenenpass», informiert er. Der Fluglehrer schliesst die Plexiglashaube, schnallt sich an und steckt die Kopfhörer ein – jetzt ist alles bereit für den Start.
Die Digitaluhr im Cockpit zeigt 07.28 Uhr an. Der Motor des französischen Kleinflugzeuges beginnt zu rattern. Unter genauer Beobachtung seines Fluglehrers setzt Häfliger einen Funk an den Tower auf dem Militärflugplatz Alpnach ab, um den Start anzumelden. «Das war ein perfekter Funkspruch», lobt Spring seinen Schüler. Mit vollem Schub, rund 130 Kilometer pro Stunde, rollt das Kleinflugzeug über die 780 Meter lange Piste und hebt ab.
Mit einer grossen 180-Grad-Kurve nimmt der Flieger Kurs in Richtung Melchtal. Über Stöckalp dreht der junge Pilot einen 360-Grad-Kreis. So wird die nötige Höhe gewonnen, um später alle Gipfel überfliegen zu können. «Die Luft ist heute sehr ruhig», bilanziert Flugschüler Häfliger während des Steigflugs. «Das ist das Schöne an Morgenflügen», ergänzt Spring.
Dass auf Melchsee-Frutt, welche Häfliger auf dem Weg Richtung Andermatt überquert, im Winter Tausende Skifahrerinnen und Skifahrer den Hang runtersausen, erkennt man aus der Vogelperspektive nur an den zahlreichen Sessellift-Masten, die aus der grünen Wiese hervorspriessen. Aus 2500 Metern Höhe – rund 8000 Fuss – sieht es aus, als hätte jemand eine Spielzeug-Seilbahn aufgestellt. Der Gipfel des Hochstollens spiegelt im tiefblauen Melchsee – ein idyllischer Anblick, in dessen Genuss Spring schon viele Male gekommen ist: Seit 47 Jahren ist er als Fluglehrer tätig.
Das Skigebiet Melchsee-Frutt. Bild: Pascal Linder
Route wetterbedingt angepasst
Vorbei an schroffen Felsen geht es via Sustenpass weiter in den Kanton Uri. Flugschüler Häfliger setzt mit vollem Schub nochmals zum Steigflug an. Über das Urserental fliegt er zur nächsten grossen Alpenstrasse: der Furkapass. Eigentlich wäre der Nufenenpass auf dem Programm gestanden, weil sich aber mehrere Wolkenfelder rund um die Gipfel bilden, entscheidet sich Häfliger für eine andere Route. «Richtig entschieden», lobt Fluglehrer Spring.
Es ist 08.04 Uhr. Auf der rechten Seite streckt der Rhonegletscher seine stark dezimierte Zunge aus. Unter dem Flugzeug schlängelt sich die Passstrasse über zahlreiche Serpentinen den Berg hinauf – Alpenromantik pur. Spring zeigt mit dem Finger links ins Tal. «Dort ist Ulrichen, wo sie den Flugplatz kaputt gemacht haben», sagt der 74-Jährige. Statt die vom Militär erstellte Piste für touristische Zwecke zu erhalten, sei der Flugplatz teilweise rückgebaut und renaturiert worden, erläutert er. Aktuelle Flughöhe: Rund 10’000 Fuss.
Der Rhonegletscher aus der Vogelperspektive.
Kaum Anweisungen von Spring
Während des Fluges herrscht eine lockere Stimmung an Bord. Spring unterhält sich mit seinem Schüler und spricht mit ihm über Berggipfel und Flugzeuge. Sein 23-jähriger Flugschüler scheint keineswegs nervös zu sein, schliesslich hat er knapp 60 Flugstunden hinter sich. Es fällt auf: Spring gibt kaum Anweisungen – wenn er es doch tut, dann nur ganz ruhig und präventiver Natur.
Das Cockpit des französischen Kleinflugzeuges.
«Gut aufpassen, den Grat müssen wir immer schön schräg anfliegen», sagt er etwa. Durch seine Pilotenbrille wirft Spring immer wieder einen prüfenden Blick auf die Geräte im Cockpit, mit der digitalen Karte auf seinem Tablet behält er stets die Orientierung.
Wenn selbst der Fluglehrer ein Foto machen muss
Es ist 08.11 Uhr. Das Finsteraarhorn, der höchste Gipfel der Berner Alpen, thront majestätisch in der Morgensonne – Teile des Viertausenders sind mit Schnee bedeckt. Auf der linken Seite ist der Fieschengletscher zu sehen. «Der Saharastaub setzt den Gletschern stark zu», sagt Spring besorgt, während er auf die dunkel verfärbte Schneedecke zeigt. Luftwirbel rund um die Berggipfel sorgen für leichte Turbulenzen. Häfliger gleicht das Schaukeln gekonnt aus.
Der 4274 Meter hohe Gipfel des Finsteraarhorns.
Nur kurze Zeit später überfliegt sein Schüler das Jungfraujoch. Entlang der kolossalen Eiger Nordwand geht es zurück in Richtung Sarnen. Es ist 08.17 Uhr. Spring zückt das Tablet und macht ein Foto von der bekanntesten Nordwand der Welt. «Wahnsinnig», sagt er beim Vorbeiflug.
Es vergehen weitere zehn Minuten. Der Landeanflug ist eingeleitet, in der Ferne öffnet sich der Blick auf den Sarnersee. Flugschüler Häfliger drosselt die Motorenleistung. «Der Winkel ist nicht schlecht», sagt Häfliger. «Nicht schlecht, aber noch ein wenig zu hoch», entgegnet Spring. Der Boden kommt immer näher, Häuser und Autos werden grösser. «Genau so, die Nase noch etwas runter», sagt Spring. Häfliger bringt die Maschine nach ziemlich genau einer Stunde Flugzeit souverän zu Boden.
Eine lange Aviatik-Karriere
Zurück auf dem Flugplatz Kägiswil. In der Ecke des aus Holz gezimmerten Hangars steht ein Getränkeautomat. Spring holt sich eine kühle Cola, bevor er sich an einen kleinen runden Bistrotisch setzt. Der Fluglehrer spricht über die Anfänge seiner Aviatik-Karriere, schildert Erzählungen seiner Eltern:
«Das Flugzeug-Virus hat mich gepackt, als ich drei Jahre alt war.»
Spring ist als Bauernsohn im bernischen Schwarzenburg aufgewachsen, machte eine Lehre als Elektromechaniker. 1966, im Alter von 18 Jahren, absolvierte er die Segelflugausbildung. Seine Ausbildung konnte er mit seiner Küngelzucht und dem Stiftenlohn finanzieren. Zwei Jahre später machte er die Motorflugprüfung. Es folgte die Rekrutenschule als Flugzeugelektromechaniker in Payerne, wo er zum Korporal befördert wurde.
Hermann Spring.
Schon früh, im Alter von 21 Jahren, heiratete er. «Die Heirat bereue ich bis heute nicht», sagt er schmunzelnd. Auf die Hochzeitsreise nach Innsbruck ging es stilgerecht mit einem gemieteten Kleinflugzeug. Nach dem Militär arbeitete er fünf Jahre in Basel und Birrfeld als Flugzeugmechaniker, war für die Flugzeugwartung und -ausrüstung zuständig.
Nach weiteren sieben Jahren bei den Flug- und Fahrzeugwerken Altenrhein wechselte er 1981 in die Zentralschweiz zu den Pilatus Flugzeugwerken. Mehr als 33 Jahre lang arbeitete er dort, davon 16 Jahre als Leiter der Systementwicklung. Dabei floss sein Wissen und sein Innovationsgeist in die Entwicklung verschiedenster Flugzeugtypen, etwa die weltweit eingesetzten Trainingsmaschinen PC-9 und PC-7 MkII, wie auch in die PC-12.
Nach seiner Pensionierung war er in Teilzeit ein Jahr lang Teil des europäischen Forschungsprojekts «Horizon 2020», welches die Pipistrel Velis Electro, das weltweit einzige zertifizierte Elektroflugzeug, entwickelte. Als Experte stand er dem Projektteam bei technischen und organisatorischen Fragen zur Seite. «Mittlerweile habe ich beinahe zehn Piloten in diesem Flugzeug ausgebildet», sagt Spring.
Auch heute engagiert sich der 74-Jährige noch stark für die Fliegerei. Neben seinem Amt als Flugschulleiter der Motorfluggruppe Pilatus ist er Präsident des Aeroclubs Zentralschweiz und sitzt im Verwaltungsrat der Flugbetriebs AG Sarnen-Kägiswil (FBAG). Diese betreibt und wartet eine Flotte mit fünf Flugzeugen für die Fluggruppe Sarnen-Kägiswil. An der Arbeit eines Fluglehrers gefalle ihm, anderen Menschen den Einstieg in die Aviatik zu ermöglichen. Er schwärmt:
«Es ist sehr schön, die Entwicklung junger Piloten mitzugestalten und zu begleiten.»
Hermann Spring arbeitete mehr als drei Jahrzehnte lang bei den Pilatus Flugzeugwerken. Bild: Pascal Linder
Gut die Hälfte seiner Flugschülerinnen und Flugschüler seien Lernende der Pilatus Flugzeugwerke, aber auch Menschen aus anderen Altersklassen und Berufen gehören zu seiner Kundschaft. Wie er seinen Schülerinnen und Schülern das Fliegen beibringt? Um ein Flugzeug fliegen zu können, müsse man den Mut zum Ausprobieren haben. Spring zieht einen Vergleich heran:
«Lernen ein Flugzeug zu fliegen, ist wie Schwimmen lernen.»
«Zuerst musst du lernen zu tauchen, bevor du schwimmen kannst», habe ihm sein Schwimmlehrer gesagt, als er ein kleiner Junge war. Ähnlich verhalte es sich auch beim Fliegen, wo es zwei Lernmethoden gebe: Entweder, man lese zuerst zehn Bücher, bevor man sich zum ersten Mal wage, einen Flieger zu steuern, oder man probiere es einfach mal aus. Der Fluglehrer aus Stans bevorzugt letztere Variante.
Als Fluglehrer solle man nur eingreifen, wenn Schäden entstehen können. Der Lerneffekt, Fehler selbst zu erkennen und korrigieren zu können, sei sehr effizient und nachhaltig. Später, wenn sie alleine im Cockpit sässen, könnten Fehler über Leben und Tod entscheiden, so Spring.
Im Cockpit müssen Pilotinnen und Piloten stets richtig handeln. Bild: Pascal Linder
Dass ein Flug kritisch werden kann, musste er bei seiner Notlandung mit dem Doppelstockflugzeug vor 25 Jahren auf der Alp Risch in Entlebuch erfahren. Der Grund für die Bruchlandung: Innert kürzester Zeit verschlechterte sich das Wetter dermassen, dass die Piloten keine Sicht mehr hatten. Spring entschied sich deshalb, frühzeitig zum Flugplatz Kägiswil zurückzukehren und übernahm kurzerhand den Steuerknüppel von seinem Flugschüler.
Doch alle möglichen Auswege waren von dichten Wolken versperrt und nicht mehr passierbar. Die beiden Piloten waren zwischen Schimbrig – Risetenstock – Schlierengrat – Glaubenbergpass – Fürstein eingesperrt, weshalb Spring zur Notlandung im schwierigen Gelände auf der Alp ansetzte. Gemäss Schlussbericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle handelte er in der Notsituation damals richtig: «Der Entschluss des Fluglehrers und seines Flugschülers, das Flugzeug kontrolliert in wenig geeignetes Gelände zu landen, war richtig.» Spring hält kurz inne und sagt dann:
«Wir haben glücklicherweise überlebt, der Schlag war aber recht heftig.»
«Ich hatte Kollegen, die solche Notsituationen leider nicht überlebten», fügt er mit nachdenklicher Stimme an. Nach dem Unfall setzte er sich schnell wieder ins Cockpit – mit dem Fliegen aufzuhören, sei damals kein Thema gewesen. Jetzt, 25 Jahre später, lautet seine Devise:
«Ich will rechtzeitig aufhören und muss die entsprechenden Grenzen sehen. Solange es mir gut geht und mein Fliegerarzt keine Bedenken hat, fliege ich weiter.»
Die Anforderungen vom Fliegen würden sich nicht gross von jenen des Autofahrens unterscheiden, so Spring. Flugschüler Häfliger denkt bestimmt noch lange nicht ans Aufhören. Im Gegenteil: Einen Tag nach unserem Besuch besteht er seine praktische Pilotenprüfung. Er ist bereit, ohne seinen Fluglehrer abzuheben.